Die Tage nach dem 16. Mai 2019 brachten Österreich die größte Regierungskrise seit Bestehen der Alpenrepublik. Das Video über den Ex-Kanzler Strache (FPÖ) hat aber nicht nur politische Auswirkungen. Die österreichische Wirtschaft, aber auch internationale Börsen, können ein solches Erdbeben nicht ignorieren.
Das Wichtigste in Kürze:
- Europäische Aktienbörsen haben sich schnell wieder gefangen.
- Milliardenpaket zur Steuerentlastung auch für Unternehmen liegt zunächst auf Eis.
- Österreichs Börse nicht im freien Fall, aber dennoch im Abwärtstrend.
- Klarheit wird es erst nach der vorgezogenen Neuwahl im September geben.
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Es gibt nicht nur Verlierer
Um es vorweg zu sagen, es gibt auch Gewinner aus dem politischen Desaster. Zum einen wäre da die frühere Popband „Venga Boys“, deren 90er Jahre Hit „Going to Ibiza“ seit einigen Tagen alle Downloadrekorde in Österreich bricht.
Zum anderen wäre da die Firma „Strabag“, größter österreichischer Baukonzern, der von H.C. Strache in dem Video dahin gehend erwähnt wurde, dass er das Unternehmen aus dem Geschäft werfen werde. Die Kursentwicklung der Strabag-Aktie seit Bekanntwerden des Videos spricht ihre eigene Sprache:
Wie sieht es aber generell an der Wiener Börse ATX aus?
Österreichs Börse schwächelt
Der österreichische Index ATX hat seit Mai 2016 bis Mai 2019 über 50 Prozent zugelegt. Die Talfahrt des ATX begann allerdings schon vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos. Notierte der ATX am 23. April 2019 noch bei 3.300, rutsche er am 13. Mai unter die Marke von 3.015 Zählern. Die kurze Erholung, die einsetzte, wurde dann durch die Veröffentlichungen vollständig ausgebremst. Am 22.5.2019 lag der Index noch bei 3.012 Punkten, nachdem er zwischenzeitlich unter die Marke von 2.295 gefallen war.
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Nun ist es nicht so, dass der Skandal die Kurse beeinflusst, es sind die ökonomischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Für die Strabag ergibt sich eine gefestigte Marktposition, für das Land jedoch ein Investitionshemmnis.
Die rechts-konservative Regierung hatte ein Steuerentlastungspaket in Höhe von 6,5 Milliarden Euro jährlich sowohl für die privaten Haushalte als auch für Unternehmen geplant. Die Wirtschaft der Alpenrepublik hatte sich zum einen auf eine verstärkte Nachfrage durch die Privathaushalte eingestellt, auf der anderen Seite auf Investitionen durch die eigene Industrie auf der Grundlage frei gewordener, nicht mehr für Steuerzahlungen benötigter Mittel.
Mit dem Bruch der Koalition ist die Verabschiedung des Gesetzes zunächst hinfällig. Ob es denn jemals verabschiedet wird, darüber kann erst nach den Neuwahlen im September entschieden werden. Auf jeden Fall wird es Monate dauern, bis hier ökonomische Klarheit herrscht. Die Konsequenz wird zunächst Abwarten sein.
Börsen mögen keine Unwägbarkeiten
Das Zittern für den ATX hat nach dem Bruch der Koalition aber noch kein Ende. Für den 27. Mai 2019 steht ein Misstrauensvotum gegen Kanzler Kurz (ÖVP) an. Die FPÖ signalisiert, das Votum zu unterstützen, die Sozialdemokraten (SPÖ) halten sich die Entscheidung offen. Österreich ist politisch völlig instabil, ein Zustand, der Entscheidungen auch auf unternehmerischer Seite blockiert. Ein Investment in österreichische Aktien ist derzeit ein reines Glücksspiel.
Auch den DAX 30 ließen die Vorfälle im Nachbarland nicht kalt. Allerdings erholte sich der deutsche Index wieder recht schnell. Gleiches gilt auch für die Mailänder Börse. Völlig unbeeindruckt zeigte sich im Nachbarland Schweiz der Index SMI.
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Welche Szenarien sind denkbar?
Im Fokus dieser Frage stehen natürlich die österreichische Wirtschaft und der ATX. Es ist die Frage, wie die am 22. Mai 2019 für die zurückgetretenen Minister eingesetzten Experten bis zu den Neuwahlen agieren werden. Gelingt es ihnen, Österreich mit ruhiger Hand durch die aktuell noch schwere See bis in den September zu steuern, dürfte sich die Talfahrt des ATX zumindest verlangsamen. Börse ist zu einem großen Teil Psychologie. Bekanntermaßen wird auch nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Ein schönes Beispiel dafür stellt der britische Index FTSE dar. Trotz allen Brexit-Chaos steigt der FTSE, fällt, steigt – gerade so, wie man es von einem Aktienindex gewohnt ist.
Anstehende Wahlen als entscheidende Faktoren
Einer der wesentlichen Einflussfaktoren für den ATX dürfte zunächst die Europawahl am 26. Mai 2019 sein, gefolgt von der vorgezogenen Neuwahl im September. Stabile Mehrheitsverhältnisse lassen auch auf Unternehmerseite wieder langfristige Planungen und damit konkrete Erwartungen der Investoren zu.
Sollte es zu einer politischen Kräfteverteilung kommen, die am Ende eine große Koalition notwendig macht, dürfte Österreich allerdings wieder in ein Koma verfallen. So, wie es in den früheren Zeiten der Großen Koalition schon einmal der Fall war. Zurzeit ist Österreich das, was der österreichische Künstler André Heller schon in den Siebzigern formulierte: Das Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten. Oder anders formuliert in Bezug auf mögliche Szenarien: Nichts Genaues weiß man nicht.